Sonntag, 30. Juli 2017

Im Land der Mitternachtssonne



Vier Wochen sind wir durchs Land nördlich des Polarkreises gereist. 4 Wochen, in denen die Sonne nicht unterging. Die innere Geographie wird auf den Kopf gestellt und der alte Spruch von der Sonne, die „…im Norden nie zu sehen“ ist, außer Kraft gesetzt. Der Sommer im Norden mag zwar nicht besonders warm sein, aber lichte und helle Nächte machen ihn sehr, sehr lang.



Wir sind aber auch angekommen im Land der Sehnsüchte, der nach einsamen Stellplätzen suchenden Wohnmobilisten, der Richtung Nordkapp strömenden Omnibusse, Motorrad- und Fahrradfahrer. Einmal am Nordkapp sein! Ist das nicht ein Sehnsuchtsziel vieler? Wir machen es kurz: Wir haben das Nordkapp geschwänzt :-) Wir haben uns gedacht, dass es auf ein paar Gradsekunden mehr oder weniger nicht ankommt und sind über die sehr schöne Küstenstraße nach Havøysund gefahren, einem kleinen Fischerörtchen westlich vom Kapp. 


Dem am Kapp zu erwartenden Rummel konnten und wollten wir uns nicht aussetzen. Von vielen haben wir zwischenzeitlich gehört, dass sie in T-Shirt und kurzer Hose traumhafte Nordkapperlebnisse hatten. Wir hatten unsere auch. In Havøysund folgten wir eine kleine Bergstraße hinauf dem Wegweiser zum Arctic View Cafe und standen dort einsam und mit mitternächtlich unverstelltem Blick nach Norden neben dem Restaurant, wo wir uns vorher aufs köstlichste zu norwegischen Preisen Wildlachs, Ren und Moltebeeren an frisch gebackenem Mandeltörtchen einverleibt hatten. Dazu gab es einen wohlschmeckenden Rosé und ein Blick auf die vorbei ziehenden Hurtigrouten. Wer braucht da noch ein Selfie mit Globus am Kapp? Unsere Sehnsuchtsziele haben wir in den vergangenen Monaten alle bereist. 





Hatten wir uns in Finnland an die beschaulichen, meist kurvenlosen Fahrten durch die nördlichen Wälder gewöhnt, bei denen höchstens mal ein Ren die Fahrbahn kreuzte, springt in Norwegen hinter jeder Ecke das nächste landschaftliche Highlight ins Auge. Man kommt aus dem Schauen kaum raus! Fjörde, Steine, Felsen, Berge, Wasserfälle, Kurven, Tunnel, Brücken, Fähren – es ist eine beständige Abfolge von wechselnden Eindrücken. Die Norweger sind wahre Weltmeister im Tunnelbau, egal ob das Ding unter dem Meer oder durch den Berg geschlagen wird. Viele alte Tunnel sind kaum breiter wie zwei PKWs. Wir hoffen oft, dass uns doch bitte keiner entgegenkommen möge.
 


Im Norden des Landes schlängelt sich die E6, die als Hauptschlagader über ca. 3000 km das nahe der russischen Grenze gelegene Kirkenes im Norden mit dem schwedischen Trellebourg im Süden verbindet, an der Küste entlang und gab auch uns den Reiseverlauf vor. Je nach Tageslaune unternahmen wir Abstecher und erkundeten die Stichstraßen, die auf verschiedene vorgelagerte Inseln führten. An den abendlichen Stellplätzen kamen wir immer öfter mit alten „Norwegenhasen“ ins Gespräch, die uns mit dem ein- oder anderen Tipp für unseren Weg in den Süden versorgten.





Zwar haben wir uns per eBook auch einen Reiseführer organisiert, aber beschäftigt haben wir uns mit diesem Land im Vorfeld überhaupt nicht. Neben der Insel Sommarøy wurde uns der Besuch der Insel Senja schwer ans Herz gelegt. Landschaftlich reizvoll, schöner als die Lofoten hieß es. Die Lofoten sollten wir meiden, da dort um diese Jahreszeit ein Betrieb wie nachts auf der Reeperbahn herrschen solle. Überwiegend Norweger tummeln sich mit ihren Wohnmobilen auf der schmalen, weit in das Nordmeer hineinragenden Inselgruppe mit ihren bizzaren und hoch aufragenden Felsmassiven. In Tromsø, dem lebhaften und schönen Universitätsstädtchen hoch im Norden, von dem einst nicht nur Roald Amundsen zu seinen Polarexpeditionen aufbrach, schenkte uns ein gut deutsch sprechender Schwede eine Broschüre zur RV 17, der alten mit Fähren verbundenen Küstenstraße, die von Bodø im Norden fast bis Trondheim führt. Es hieß, auch die Vesterälen seinen einen Besuch wert und so startete mit dem Entschluss, die erste Fähre von Sommarøy Richtung Senja zu nehmen, ein Inselhüpfprogramm, das uns bis Sandnessjøen südlich des Polarkreises bringen sollte.

Im Norden Finnlands haben wir uns mit ein paar Tagen Stillstand auf einer kleinen Campingwiese am Rande des Lemmenjoki-Nationalparks für die bevorstehende Erkundung der norwegischen Küste fit gemacht. Schöne Abendstimmungen und Sauna am See gehören zu den Highlights der beschaulichen Tage inmitten der finnischen Wälder. Dem sehenswerte Sami-Museum in Inari hatten wir vorher bereits einen Besuch abgestattet und viel über die Sami, das indigene, nur noch begrenzt nomadisch lebende Volk der skandinavischen Länder und die Herausforderungen, die die heutige Zeit und Politik an die Rentierzüchter stellt, gelernt.





Ein Abstecher ins Landesinnere sollte uns vor Erreichen Tromsøs nochmal zurück nach Finnland, zum Dreiländereck, führen. Finnland, Schweden und Norwegen stoßen ca. 35 km von der Küste entfernt in der Nähe vom finnischen Kilpisjärvi, wo die Jahresdurchschnittstemperatur nicht über -2°C hinausgehen soll, aneinander. Das einzige Grenzmerkmal ist eine übergroße Betonboje, die seit 1926 den Grenzverlauf markiert. Kein Grenzposten, keine Kontrollen, nur Landschaft und der Rentierzaun. Ein Nachbarschaftsverhältnis, an dem sich der Rest der Welt ein Beispiel nehmen kann. Iris ließ es sich nicht nehmen, den kleinen Ausflug per Boot und Pedes zum „Grenzpfosten“ zu unternehmen. Hilmar sorgte derweil fürs leibliche Wohl und stockte die Lebensmittelvorräte im örtlichen Supermarkt auf. Norwegen ist mit Abstand das teuerste der 3 skandinavischen Länder, ein Einkauf auf finnischer oder schwedischer Seite schont die Reisekasse erheblich.



Wenn man Nord-Norwegen bereist kommt man um das Thema Fischen nicht herum. Auch Hilmar hat ein paar Mal – leider bisher erfolglos - sein Glück versucht. Da war Iris erfolgreicher, als sie sich auf der Insel Senja, die wir von Tromsø über die Insel Sommarøy kommend per Fähre erreichten, sich kurz entschossen ein paar gemütlichen Sportanglern aus der Pfalz anschloss, die am Vortag einen 125 kg großen Heilbutt aus dem Meer gezogen hatten. Mit Motorboot, Fischnavigation und professionellem Gerät fuhren sie hinaus aufs offene Meer und Iris kam mit einem Dorsch zurück. Filetiert und portioniert ruht er nun eingeschweißt in unserem Kühlschrank und wartet etappenweise auf seinen Verzehr.




Wobei das mit dem Sportangeln so eine eigene Sache ist. Als Angler darf man 15kg Fischfilet pro Person aus Norwegen ausführen, was wohl auch die zwei Finnen, die wir an unserem Nachtplatz in der Nähe von Alta trafen, dazu animierte, ihr Glück auf dem Meer zu suchen. Nur waren sie wohl nicht so geübt darin, ihr Boot in einem den Gezeiten unterliegenden Gewässer ins Wasser zu lassen. Sie hatten sich beim Verladen des Bootes nach erfolgreicher Angeltour mit dem PKW im Kies festgesetzt und mussten heraus gezogen werden. Mit unseren Bergeseilen, die wir das letzte Mal in der Mongolei benutzt hatten, bekamen wir das Auto schnell wieder flott und die entsprechenden Fische zum Abendessen dazu. Am nächsten Morgen bekamen wir erst durch einen kleinen Menschenauflauf, der sich unweit unseres Autos am Ufer zusammen gefunden hatte, mit, dass sich derselbe Angler ein zweites Mal recht ungeschickt angestellt hatte. Diesmal hatte er wohl das Boot bei Ebbe ins Wasser gelassen und vergessen, dass es Gezeiten gibt. Allerdings wurden diesmal nicht wir, sondern die Feuerwehr zu Hilfe geholt, die das in der einlaufenden Flut schon halb eingetauchte Auto samt Trailer wieder aus dem Wasser zog. Dem Finnen waren wohl die großen Dorsche, die er am Tag zuvor gefangen hatte, vor lauter Freude zu Kopf gestiegen! 



Wie uns ans Herz gelegt, besuchten wir die Inseln Sommarøy und Senja, tingelten auf den Vesterälen über mehrere Inseln und feierten an einem kleinen Strand am westlichsten Zipfel der Insel Langøya bei schönstem Sommerwetter Hilmars Geburtstag. Letztes Jahr hatten wir kurz vor diesem Datum die Mongolei verlassen und es uns an einem Bach im russischen Altai gemütlich gemacht. Wo ist nur die Zeit geblieben? Die Lofoten ließen wir rechts liegen und nahmen die Fähre von Lødigen nach Bognes, um die nächsten 200 km zügig auf der E6 weiter Richtung Süden, nach Bodø, zu fahren.

Eismeerkathedralein Tromsø



Auf der Insel Sommarøy



Küstenfahrt auf Senja
Andernes auf den Vesterälen
Die Lofoten - von Norden gesehen
Hilmars Geburtstagsstrand

Dort liegt der Startpunkt des Kystriksveien, der RV 17, der wir ein gutes Stück nach Süden folgen wollten. Der Wetterbericht versprach nach mehreren sehr wechselhaften, kühlen Wochen für diesen Küstenabschnitt eine Woche Dauersommer – also nix wie hin! 


Eigentlich wollten wir uns in Bødo von einem Aussichtshügel aus die Stadt und die umliegenden Berge ansehen. Leider war die Zufahrt für LKW verboten. Der Alternativplan führte uns für die Nacht mitten in die Stadt und hinauf in den 17. Stock des Scandic Hotels. Umlaufende Terrasse, wunderbarer Abend und traumhafter weiter Blick waren der Lohn für die wohl teuersten 2 Glas Wein unseres Lebens. Wir haben sie mit großem Genuss sehr langsam geleert.






Wer sich auf die RV 17 begibt, muss Zeit mitbringen. Kaum fährt man ein paar Kilometer, führt die Straße wieder geradewegs auf eine Fähre, die einen auf die nächste Festlandsnase bzw. größere Insel bringt. Wir liegen mit unserem Jonny in der Gesamtlänge so ziemlich genau unter 7 m. Dadurch halten sich die Kosten im Rahmen. Bei dem schönen Wetter hatten wir bei unseren Fährtraversen eine hervorragende Sicht auf die Küste. Manch Hurtigroutenpassagier wäre neidisch geworden! Den  Hurtigrouten sind wir auf unsere Reise bisher öfter begegnet. Am Artic View Cafe fuhr sie an unseren Füßen vorbei, in Hammerfest lief das Schiff gerade ein und in Sandnessjøen sahen wir beim Verladen der wenigen PKWs zu, die der Dampfer mitnehmen kann. Per Aufzug werden sie in den Bauch des Schiffes verfrachtet. Sehr spannend. 


Auch für die am Wegesrand liegenden landschaftlichen Highlights konnten wir uns ausreichend Zeit nehmen. Kurz hinter Bødo quert die RV 17 den Saltstraumen, den weltstärksten Gezeitenstrom, der vor allem bei Flut zu Neu- bzw. Vollmond seine größte Macht entfaltet. Es gurgelt und zischelt, strudelt und wüsste man nicht, dass man an einer Meeresenge steht, könnte man meinen, in einen reißenden Fluss zu blicken. 



Oder der Svartissengletscher, der sich ein paar Meter über Meeresniveau quadratkilometerweit über die Berge erstreckt und an verschiedenen Fjörden noch seine Zungen Richtung Meer schiebt. Iris hatte gelesen, dass man von der Dammkrone des Holmvassdammen einen hervorragenden Blick auf den Gletscher haben sollte. Der Weg dorthin führte allerdings durch zwei unbeleuchtete Tunnel, davon einer über 2 km lang, kurvig und bergauf. Nach anfänglichem Zögern und einer am Fuße des Tunnels verbrachten Nacht gab es am nächsten Morgen kein Halten mehr. Augen zu und durch! Wir wurden mit herrlichen Aussichten auf Berge und Gletscher belohnt.








Unser weiterer Weg wird uns wieder ins Landesinnere Richtung Schweden führen. Mitte August haben wir dort in der Nähe des Vättersees eine Verabredung. Stockholm wollen wir uns auch noch ansehen, für Oslo bleibt da wohl keine Zeit mehr.  Aber wir wissen jetzt schon – Skandinavien sieht uns wieder!







Helgelandbrua bei Sandnessjøen